Emanzipatorisches Grundeinkommen als solidarische Perspektive
Positionspapier des Netzwerks Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt –
B.I.E.N. Austria 2018
Wir treten für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein
- im Sinne eines Rechts auf soziale Sicherheit
- angesichts der Herausforderungen, die mit den gegenwärtigen Entwicklungen unser Gesellschaft (wie Digitalisierung, ökologische Krise, Industrie 4.0) verbunden sind
- und in der Überzeugung, damit sowohl die individuelle Wahlfreiheit in der Lebensführung als auch den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu bestärken.
Emanzipatorisches Grundeinkommen als solidarische Perspektive
- heißt, nicht jede angebotene Lohnarbeit unter allen Umständen annehmen zu müssen
- ermöglicht es allen, nicht bezahlte aber gesellschaftlich notwendige Arbeit zu leisten
- bedeutet ein Abgehen von bisherigen, auf Repression basierenden Formen sozialstaatlicher Absicherung
- erhöht die Wahlmöglichkeiten des bzw. der Einzelnen in Bezug auf die eigeneLebensgestaltung
- ist ein adäquates Mittel, um allen Menschen in einer menschenwürdigen Art und Weise gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen
- ist ein Baustein der Veränderung einer Gesellschaft weg vom zerstörerischen Wachstumszwang mit seinen dramatischen ökologischen Folgen
Nicht jeden Job um jeden Preis annehmen zu müssen, weil die Menschen eine deutlich gestärkte Verhandlungsposition haben; selbst entscheiden zu können, in welchem Ausmaß welcher Art von Tätigkeit oder Arbeit nachgegangen wird; frei zwischen Erwerbsarbeit und anderer Arbeit kombinieren zu können – das entspricht unserem Menschen- und Gesellschaftsbild. Wir gehen davon aus, dass der Mensch fähig ist, verantwortlich mit einem Mehr an Freiheit umzugehen. Es geht eben nicht bloß um Armutsbekämpfung, sondern um die materielle Absicherung von Teilhabechancen, um gelebte Menschenwürde und selbstbestimmte Lebensentwürfe. Es soll letztlich nicht der Markt entscheiden, welche Art von Tätigkeit gesellschaftlich wertvoll ist und welche nicht. Über den Markt sind viele sinnvolle und gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten nicht organisierbar, sie finden dort keine gesellschaftliche Realisierungschance bzw. Anerkennung. „In Freiheit tätig sein“ ist eine zukunftsorientierte solidarische Perspektive. Sie geht davon aus, dass die Gesellschaft fähig ist, sich im Lauf der Geschichte radikal zu reformieren und zum Besseren weiterzuentwickeln.
Baustein einer solidarischen Zukunft
Wir sprechen vom emanzipatorischen Grundeinkommen, weil wir das BGE als Baustein einer künftigen solidarischen Welt ansehen. Einer Welt, in der die Produktion den Menschen dient – und nicht umgekehrt. Unverzichtbare Schritte in diese Richtung sind die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten, das Schließen der „sozialen Schere“ zwischen Arm und Reich, sowie ein solidarisches Handeln in Bezug auf die Länder des globalen Südens. Ein „Gutes Leben für alle“ ist möglich, bedarf aber grundsätzlicher Weichenstellungen in Politik und Wirtschaft. Grundeinkommensmodelle, die nur oder vorrangig auf Massenbesteuerung (z.B. durch eine radikale Erhöhung der Mehrwertsteuer) abzielen und somit die gegenwärtige Tendenz der Umverteilung von Arm zu Reich verstärken, lehnen wir deshalb ab. Ein solidarisches Grundeinkommen ist finanzierbar!
Immer mehr Männer und Frauen verfügen in einer immer reicher werdenden Gesellschaft über kein existenzsicherndes Einkommen, sei es aus Erwerbsarbeit oder als Erwerbsarbeitslose. Entgegen der Vorstellung, dass die Erwerbslosen selber Schuld an dieser Situation seien, gehen wir davon aus, dass der beschleunigte technologische Wandel nicht ausreichend menschenwürdige Arbeitsplätze mit existenzsichernden Einkommen schafft. Dies vermag aber auch keine Politik, die glaubt, alleine mit Wirtschaftswachstum und Standortwettbewerb gegensteuern zu können. Sie kann keine positive Vision einer gerechten Zukunft vermitteln. Erst jenseits der allgemeinen Verpflichtung zur Lohnarbeit und zum Wirtschaftswachstum entstehen die Umrisse einer Gesellschaft, die ein gutes Leben für Alle ermöglicht.
Ein gutes Leben für Alle - weltweit!
Wie aber soll der gesellschaftliche Modus sein, der allen Menschen ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum sichert, wenn Erwerbsarbeit alleine diese Funktion nicht mehr hat und auch nicht mehr haben soll? Wir denken, dass ein emanzipatorisches bedingungsloses Grundeinkommen ein zentraler Baustein davon ist, und zwar nicht nur in den reichen Ländern des Nordens. Diskussionen und Experimente mit dem bedingungslosen Grundeinkommen im globalen Süden zeigen die internationale Dimension. Wir verstehen uns als Teil dieser internationalen Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Reiche Länder wie Österreich, die von der Ausbeutung des globalen Südens profitieren, haben eine besondere Verantwortung. Ziel eines emanzipatorischen Grundeinkommens ist es daher, eine solidarische Perspektive sozialer Sicherheit hier zu entwickeln und einen adäquaten Beitrag für die ärmeren Länder und deren Entwicklung zu leisten, d.h. auch entsprechende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen (z.B. durch die Besteuerung von Devisentransaktionen).
Die ersten Schritte in Richtung Grundeinkommen können kurzfristig unternommen werden. Dies zeigen die verstärkten Diskussionen und Experimente in zahlreichen Ländern. Daraus lassen sich Erfahrungen für erwünschte und mögliche unerwünschte Wirkungen eines BGE gewinnen. Uns ist bewusst, dass vor allem in den Medien Vieles als Grundeinkommen bezeichnet ist, das diese Bezeichnung nicht verdient. Lediglich einzelne Elemente eines bedingungslosen Grundeinkommens führen nicht zu einer Verbesserung der sozialen Situation der Mehrheit der Bevölkerung. Sie können vielmehr der Privatisierung oder gar Zerstörung sozialer Sicherungssysteme dienen und haben mit einem emanzipatorischen Grundeinkommen nichts zu tun.
Das emanzipatorische Grundeinkommen baut vielmehr auf den vier unverzichtbaren Kriterien auf:
Bedingungslos soll das von uns geforderte Grundeinkommen sein, weil wir in einem Grundeinkommen ein BürgerInnenrecht sehen, das nicht von Bedingungen (Arbeitszwang, Verpflichtung zu gemeinnütziger Tätigkeit, geschlechterrollen-konformes Verhalten) abhängig gemacht werden kann.
Universell soll das Grundeinkommen sein, weil es nicht diskriminierend sein soll. Es soll also jeder und jedem zugute kommen, die/der auf Dauer in einem bestimmten Land lebt. In der Festsetzung der Höhe des Grundeinkommens unterscheiden wir zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen.
Personenbezogen. Als BürgerInnenrecht steht Grundeinkommen einer jeden Person zu und darf nicht abhängig gemacht werden von der Einkommens- oder Vermögenssituation eines Familienmitgliedes oder eineR MitbewohnerIn.
Existenzsichernd. Grundeinkommen soll eine echte Teilhabe (materiell, sozial, kulturell) am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Daher muss es auch in existenzsichernder Höhe ausgezahlt werden.
Weichenstellungen für die Innovation der sozialen Systeme im 21.Jahrhundert sind möglich – und notwendig! Ein emanzipatorisches bedingungsloses Grundeinkommen ist ein wesentlicher Schritt in diese Richtung.
Konkrete Schritte zu einem emanzipatorischen Grundeinkommen:
- Ersatzlose Streichung der derzeitigen gesetzlichen Möglichkeit, Sperren des Bezugesvon Versicherungs- und Transferleistungen zu verhängen; Freiwilligkeitsprinzip beiKursbesuchen des Arbeitsmarktservice
- Kostenlose budgetfinanzierte Kranken- und Unfallversicherung für alle, die bisher nicht versichert sind
- Einführung des BGE im Rahmen eines „Lebensphasenmodells“, z.B. als echte Kindergrundsicherung.
- Besteuerung menschlicher Arbeitskraft verringern, die Besteuerung von Wertschöpfung und Ressourcenverbrauch erhöhen (öko-soziale Steuerreform)
- Allgemeine Steuerveranlagung als Grundlage für individuelle, auszahlbareSteuergutschriften (Negativsteuer)
Wien, im September 2018
Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N. Austria
www.grundeinkommen.at